Statt des Vorworts zur
autobiographischen Erzählung „Kriegsgefangenschaft“
In der Beleuchtung der
Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges durch die
Massenmedien, Filme, schöne Literatur und Memoiren wurde die
Tragödie der Kriegsgefangenschaft als Tragödie des Volkes und seiner
Armee so beiläufig widergespiegelt, daß die Zeitgenossen kaum
etwas davon wissen. Wollen wir uns die Ziffern der unwiederbringlichen
Verluste der Streitkräfte ansehen. Die offiziellen Quellen
(Verteidigungsministerium, Generalstab, Akademie der Kriegswissen-schaften)
liefern folgende Angaben, die von vielen Forschern freilich als verringert
eingeschätzt werden: die allgemeinen unwiederbringlichen Verluste der
Streitkräfte betragen 8,8 Millionen Menschen. In die deutsche
Gefangenschaft gerieten 5,7 Millionen hin, 3,3 Millionen von ihnen wurden
erschossen, starben an Hunger, Wunden, Krankheiten und der über ihre
Kräfte gehenden Sklavenarbeit, d.h. 58%. Die Anzahl der in der
Gefangenschft umgekommenen Rotarmisten und Komman-deure beträgt 38%
der Gesamtzahl der im Krieg Gefallenen.
Ob angesichts dieser
tragischen Folgen des Krieges viele Bücher veröffentlicht, viele
Filme über das Schicksal der Kriegsgefangenen, ihren Kampf und Leiden
gedreht wurden? Ist das Schicksal eines Drittels aller Heimatverteidiger,
die sich für ihre Heimat opferten nicht ein unentbehrliches Teil der
Geschichte des Landes?
Es kann dafür nur eine
Erklärung geben: jahrzehnte lang wurde ins Bewußtsein der
Landsleute die Behauptung gehämmert, daß die kriegsgefangenen
Armeeangehörigen den Eid gebrochen hatten und mit ihrer Arbeit und
Teilnahme das Kriegs- und Industriepotential des Feindes unterstützt
hatten.
Viele am Leben gebliebene
Kriegsgefangene wurden nach dem Krieg ungerecht Repressalien unterworfen,
die anderen, die diesem Schicksal entgingen, wurden viele Jahre lang
verfolgt und mißhandelt. Bis 1956 wurde die Zeit der
Kriegs-gefangenschaft nicht als Kriegsteilnahme und Dienstalter anerkannt.
Dem Vermerk über die Gefangennahme in meinem Militärausweis
folgten automatisch (wie bei vielen anderen Kriegsgefangenen) die Vermerke
„keine Kriegsteilnahme“, „keine Verwundungen / Kontusionen“, egal,
daß der Körper unumstößlich vom Gegenteil zeugte. Bis
zu den 90-er Jahren des vorigen Jahrhunderts bestanden die
Beschränkungen bei der Einstellung, beim Hochschuleintritt, bei den
Dienst- oder Erholungsreisen sogar in die sozialistischen Länder.
Erst 1995 (!) wurden die
ehemaligen Kriegsgefangenen endgültig mit den anderen Bürgern
Rußlands rechtlich gleichgestellt („Über die Wiederherstellung
der Rechte der Bürger Rußlands, der ehemaligen Kriegsgefangenen
und der Zivilisten, die während des Großen Vaterländischen
Krieges und in der Nachkriegszeit repatriiert wurden“. Erlaß des
Präsidenten der RF vom 24. Januar 1995 № 63).
Man muß den Menschen Gerechtigkeit
widerfahren lassen, die dieses undankbare und für sie gefährliche
Thema damals berührten. Der Schrifsteller Sergej Sergejewitsch Smirnow
schuf eine Fernsehreihe „Heldentat“, in der er über die ehemaligen
Kriegsgefangenen als über die Patrioten sprach. Freilich bemerkte es
bald plötzlich einer der Mitglieder der Parteileitung des Landes und
diese Sendungen wurden eingestellt. Eine riesige Rolle im Verhaltenswandel
zu den Kriegsgefangenen spielte der Film von G. Tschuchrai „Klarer Himmel“.
Es sei aber auch zu bemerken, daß sowohl die Sendungen von S. Smirnow
als auch der Film von G. Tschuchrai nicht über die Kriegsgefangenen im
allgemeinen erzählten, sondern über die von ihnen, die eine
Heldentat vollbracht hatten.
Es sei zu bemerken,
daß das Mißtrauenssyndrom gegen die ehemaligen Kriegsgefangenen
vom öffentlichen Bewußtsein bis heute nicht überwunden ist,
darum meiden viele von ihnen die Gespräche über diesen Teil ihrer
Kriegsbiographie. Ich möchte folgendes Beispiel anführen.
Jährlich treffen sich
im Dorf Denkowo bei Wolokolamsk an der Gedenkstätte der Gefallenen der
Dowator-, Katukow- und Panfilowverbände bei der Verteidigung Moskaus
zu Ehren die Veteranen dieser Verbände. Vor etwa vier Jahren kam auf
mich ein Reporter der Istra- Bezirkszeitung zu, der an diesem Treffen
teilnahm, um mich zu interviewen. Sobald die Rede auf meine
Kriegsgefangenschaft kam, unterbrach er unsere Unterhaltung ohne
Anstandsregeln zu beachten.
Eine besondere
Aufmerksamkeit fordert der Vergleich der Lage der sowjetischen
Kriegsgefangenen, denen die Stalin-Regime die Vormundschaft des
Internationalen Roten Kreuzes aberkannte, mit der Lage unserer Alliirten in
der Gefangenschaft. Das Verhalten der deutschen Behörden zu den Kriegsgefangenen
aller Länder außer der UdSSR wurde durch den Genfer Vertrag 1929
geregelt, den Stalin mit den Worten „Wir haben keine Kriegsgefangenen, nur
Verräter“ abgelehnt hatte. So wurde den kriegsgefangenen
Engländern und Amerikanern ihr Gehalt, sogar ein erhöhtes, weiter
auf die Kontos in ihren Ländern überwiesen, sie bekamen ihre
weiteren Dienstgrade, Pakete von Zuhause, die Geldleistungen wurden vom
Roten Kreuz in der Lagerwechselwährung gezahlt, die Postverbindung
gewährleistet, die Invaliden und ernstlich Erkrankte wurden über
die neutralen Länder in ihre Heimat befördert.
Die Abbildungen zeigen, wie
die Franzosen in den Nachbarzonen, nur durch einen Stacheldraht getrennt,
Bier trinken, wie die Engländer ein Symphoniekonzert für die
Stadtbewohner geben, Fußballspiele und Boxkämpfe veranstalten.
Und das oft vor Augen der vor Hunger und Mißhandlung sterbenden
sowjetischen Kriegsgefan-genen.
Es ist für unser Land
peinlich und schändlich, daß in vielen Städten Deutschlands
Museen und öffentliche Institutionen bestehen und aktiv wirken, die
die historischen Materialien über die Kriegsgefangenenlager
veröffentlichen, die die Denkmäler und Gedenkstätten im
idealen Zustand erhalten; jährlich finden Aktionen unter dem Motto
“Nie Wieder!” statt. Hier können Sie einige Abbildungen sehen, die das
veranschaulichen.
In den von den Faschisten
besetzten Gebieten auf dem Territorium unseres Landes lagen die
Kriegsgefangenenlager, in denen die Kriegsgefangenen besonders grausam
mißhandelt wurden. In den ersten Kriegsjahren hielten sich die
Besatzer von der Verantwortung vor der Weltgemeinschaft völlig
befreit, denn „die Sieger kommen nicht vors Gericht“, und damals zweifelten
sie an ihren zukünftigen Sieg gar nicht. Aber weder in Wjasma (Lager №
230) und in Smolensk (Lager № 240), noch in Pskow (Lager № 372) und Luga
(Lager № 344) finden Sie Gedenkstätten in den Gegenden, wo mehrere
Zehner wenn nicht Hunderte sowjetische Kriegsgefangene den Qualen
ausgesetzt wurden.
Meine autobiographische
Erzählung „Kriegsgefangenschaft“, in der ich meine Erlebnisse
beschreibe, berührt nur einen Teil des ganzen Problems dieses kaum
bekannten oder gar nicht bekannten Abschnittes der Geschichte der
Großen Vaterländische Krieges. Gegen Anfang 1944, als ich in die
Gefangenschaft hingeriet, wurden die Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen
im Vergleich zu 1941-1942 besser. Da die Deutschen die Verbreitung der
Dysenterie, Typhus und Tuberkulose unter der deutschen Bevölkerung
durch die unausweichlichen Kontakte zwischen den Kriegsgefangenen und
Lagerpersonal befürchteten, richteten die Behörden in den Lagern
Badestuben und Sanitätsformationen ein, verteilten Ersatzseife
(Mineralstückchen, die beim Kontakt mit dem Wasser etwas Schaum
gaben), es wurden in den Baracken Öfen gestellt, für die winzige
Mengen Heizstoff ausgegeben wurden. Gleichzeitig blieb die Ration ebenso
miserabel, für das Leben nicht ausreichend, und die Kriegsgefallenen
wurden als Untermenschen auch weiter mißhandelt.
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