Kriegsgefangenschaft.
Autobiographische Erzählung.
1. Anfang des Weges.
Über meinen letzten Kampf
am Pripjat-Ufer westlich von Mosyr, der mit meiner Verwundung und
Quetschung endete, habe ich bereits erzählt. Nun setze ich meine
Erzählung fort.
Ich kehre also zum 14.
Januar 1944 zurück. Als ich die Augen öffnete, fand ich mich
halbsitzend unter irgenwelchen Säcken auf einem fahrenden Wagen. Mein
rechter Kopfteil schwoll an, das Auge sah nichts. Alles empfand ich wie im
Halbschlaf, denn die Laute konnten durch den Nebel um meinen Kopf nicht
durchdringen. Neben dem Wagen ging ein riesengroßer Mann in deutscher
Uniform. Als er mich zur Besinnung kommen sah, wandte er sich an mich mit
einer Frage, aber ich hörte nichts und verstand nicht, was er von mir
wollte. Vorn saß ein Soldat, mir den Rücken zugekehrt, auch in
deutsche Uniform gekleidet und mit einem deutschen Gewehr an dem
Rücken.
Ich hörte in mich hin
und sah mich um. Als ich versuchte mich bequemer zu setzen, fühlte
ich, daß mein Bein in Bedrängnis ist und sich nicht bewegen
läßt. In diesem Bein fühlte ich einen dumpfen pulsierenden
Schmerz. Der Kopf tat nicht weh, war aber wie mit der Watte gestopft, die
Töne konnten nicht durchdringen und ich fühlte mich wie im
Stummfilm.
Der Wagen, mit dem ich fuhr,
gehörte zur Kolonne eines Wagenzuges, überall gingen die Menschen
in deutscher Uniform mit Ärmelstreifen „РОА“ („ROA“, Russische
Befreiungsarmee) – die Wlassow - Bande. Dem Wagenzug entlang ging eine
Kolonne der mit Maschinenpistolen bewaffneten Menschen in weißen
Pelzoveralls. Unter ihnen die Offiziere in blaugrauer Uniform,
Schirmmützen mit dem hohen, nach oben aufgekrempelten Kopfteil und
ausgelassenen Ohrenschützern.
Als ich verstand, daß
ich in Gefangenschaft war, konnte ich mich nicht erinnern, wie das
passieren konnte. Das letzte, woran ich mich erinnerte, waren die
Silhouetten unserer zurückziehenden Soldaten weit von mir im
Rücken. Am nächsten Tag, als ich schon etwas hören konnte,
erklärte man mir, daß die Beutegruppe der Wlassow - Bande mich
aufgehoben, ins Dorf gebracht und beim Rückzug am Morgen in diesen
Wagen gelegt hatte.
Wir fuhren ziemlich lange,
in einem großen Dorf machten wir Halt. Derselbe Riese schleppte mich
in ein niedriges eingeschossiges Gebäude, wahrscheinlich Kaserne, und
legte auf die Pritsche längs der Wand in einem großen Zimmer.
Auf derselben Pritsche lag ein schwer verwundeter russischer Soldat
bewußtlos und stönnte von Zeit zu Zeit. Ich dachte, er liege
schon im Sterben. Der Riese brachte mit einen Teller mit dicken Pfannkuchen
und ein Glas Tee. Ich trank den Tee mit Vergnügen, konnte aber nichts
essen: wenn ich das Essen sah, fühlte ich sofort Brechreiz.
Ich erinnere mich nicht, wie
lange ich in diesem Zimmer blieb. Die Angehörigen von Wlassow und die
Deutschen kamen herein und gingen hinaus ohne auf mich aufmerksam zu
werden. Manchmal setzten sie sich an den Tisch, tranken und nahmen einen
Imbiß ein.
Nach einiger Zeit begannen
sie hin und her zu laufen und ich verstand, daß sie bald wegfahren.
Es wurde still. Es fiel mir ein, sie hätten mich und den sterbenden
Verwundeten einfach verlassen. Da erschien aber mein robuster Betreuer, lud
mich auf seinen Rücken auf und schleppte zu demselben schon
eingespannten Wagen. Nachdem er mich gesetzt hatte, versuchte er mit mir zu
sprechen, ich konnte ihn aber gar nicht hören. Er sprach
gebärdenreich und wiederholte die Wörter mehrmals, so daß
ich ihm etwas von seinen Lippen ablesen konnte. Er erzählte mir,
daß er einst genauso wie ich verwundet, im Kampfgebiet gefunden und
in ein deutsches Lazarett gebracht worden war. Dort wurde er geheilt und
trat in die Wlassow-Truppen ein. Er möchte mich in ein deutsches
Lazarett bringen.
Gegen Abend machten wir in
einer kleinen Waldsiedlung Halt, ich wurde in eine Scheune gebracht, auf
einen Haufen Heu gelegt und allein gelassen. Die Tür blieb dabei
offen. Ich sah mich um, überzeugte mich davon, daß die Scheune
nicht bewacht wurde und dachte, ich könnte in den Wald fortkriechen
und dort auf die Unsrigen warten. Wegen der Blutverlust konnte ich mich aber
nicht erheben. Und wie sollte ich auf meinem verstümmelten Fuß
gehen?
Dann brachte man mir aus dem
Haus einen Becher heiße Kraftbrühe und zum ersten Mal in den
vergangenen Tagen konnte ich etwas zu mir nehmen.
Am Morgen hielt im Hof ein LKW, in dessen Wagenkasten an den
Seitenwänden verwundete Deutsche saßen. Ich wurde auch zu ihnen
hingesetzt. Auf dem Boden des Wagenkastens versuchte ich mich zuerst an die
Beine eines Deutschen anzulehnen, der auf dem Sitz saß, sah aber,
daß sie verbunden waren, vielleicht erfroren, und wankte zurück,
um ihm nicht weh zu tun. Er nahm mich bei den Schultern und lehnte mich an
seine Beine an.
Der LKW fuhr auf einer
breiten Chaussee, zu deren beiden Seiten der Wald auf 300-400 Meter
abgeholzt worden war, damit die Partisanen zur Chaussee gedeckt nicht
gelangen konnten. Bald kamen wir in ein deutsches Lazarett. Die Deutschen
wurden sofort abgeholt, ich blieb aber im Wagenkasten, denn man weigerte
sich mich aufzunehmen. Die Deutschen – der Fahrer und der Soldat, der die
Verwundeten begleitet hatte, - besprachen etwas lange, wahrscheinlich
wußten sie nicht, was sie mit mir machen sollten. Mit einem Motorrad
mit einem darauf befestigten Maschinengewehr kamen zwei Deutsche, bewaffnet
mit den Maschinenpistolen und in den Helmen, an der Brust eines von ihnen
hing an einer Kette ein ovales Metallschild. Vermutlich war das eine
Patrouille. Der LKW fuhr in der von ihnen gezeigten Richtung und ich wurde
an den Stadtrand gebracht, wo eine Brigade russischer Kriegsgefangenen
unter der Überwachung der Begleitsoldaten arbeitete.
Sie waren in einer runden
wie ein Ölbehälter Baracke aus Fertigteilen untergebracht, mit
einem Stacheldrahtzaun herum. In der Mitte der Baracke strahlte ein Ofen
die Wärme, an den Wänden standen Pritschen. In einer durch eine
Scheidewand getrennten Stube wohnten der Älteste und der Arzthelfer,
auch Kriegsgefangene.
Der Arzthelfer zerschnitt
meinen Filzschuh, mit Mühe und Not wickelte er unter meinen
Stöhnen und Schreien die aneinandergeklebten ausgetrockneten mit Blut
durchgetränkten Fußlappen ab. Mein durchgeschossenes Bein sah
schrecklich aus. Links unter dem Knie gab es einen Durchschuß, rechts
war statt der Wade eine Rißwunde voll von grünem Eiter. Da der
Arzthelfer keine Desinfektionsmittel hatte, spülte er die Wunden mit
gekochtem Wasser, deckte sie mit einem verhältnismäßig
sauberen Tuch und verband mit einem Papierband. Die Wunde schien nicht zu
bluten, aber nach dem Verband wurde die Binde allmählich mit Blut
durchtränkt.
Die Kriegsgefangenen
schlachteten Vieh, bereiteten geschlachtetes und ausgeweidetes Rind zum
Abtransport nach Deutschland vor. Sie selbst bekamen zum Essen eine Suppe
aus minderwertigen Innereien – Lungen, Nieren, Beinen und Köpfen. Die
Suppe war eßbar und kalorienreich. Ich bekam auch eine Konservenbüchse
mit dieser Suppe.
2.
Luninez..
Am nächsten Tag wurde ich, ich kann
mich daran nicht erinnern womit, ich glaube, mit einem Pferdefuhrwerk in
die Stadt Luninez gebracht, in deren Mitte in einem einstöckigen Ziegelgebäude
hinter einem schmiedeeisernen Gitter der Sammelplatz für die
verwundeten Kriegsgefangenen lag. Hierher wurden von verschiedenen
Frontabschnitten etwa 100-150 Menschen verschiedener Ränge gebracht (es gab sogar einen Obersten).
Medizinische Hilfe wurde von zwei russischen kriegsgefangenen Ärzten
geleistet, deren aufopfernde Arbeit ich nur bewundern kann.
Ohne jegliche medizinische
Instrumente, nur mit verschiedenen Messern und Sägen, als
Desinfektionsmittel nur eine gelbliche Lösung, ich glaube, Revanol,
versorgten sie von Morgen bis Abend vernachlässigte eiternde Wunden,
schnitten und vernähten, sogar amputierten ohne jegliche
Anästhesie, verbanden mit den deutschen Faltenbinden, die sich wie
Gummi ziehen ließen.
Unsere tägliche Ration
bestand aus einem Stück hartes Brot, es lohnt sich darüber extra
zu erzählen, und einem halben Liter Suppe aus Steckrübe und
formgeschnittenem Dörrgemüse, das, weiß ich nicht warum,
’Kolerabia‘ genannt wurde, wahrscheinlich war es Kohlrabi. Dieses im Wasser
zerkochte Gemüse wurde durchsichtig und war wohl kaum nahrhaft. Fett
gab es in dieser Suppe nicht. Das Brot war in ein mit etwas
imprägniertes Papier eingewickelt und wog 2,4 Kilo. Auf diesem Papier
standen Hestellungsort und –jahr, in der Regel 1939 oder 1940. Das Brot
wurde auf einer Holzmehlunterlage aus einem dicken Teig gebacken und war
für eine Dauerlagerung bestimmt. Ich glaube, wir bekamen es, da es
nicht mehr haltbar war. Ein Brot wurde unter 10 Menschen verteilt. Es wurde
uns am Morgen zusammen mit ’Tee‘ gegeben, gekochtem Wasser mit einem
aufgebrühten Kraut und ein bißchen Ersatzzucker. Zu Mittag
bekamen wir die Suppe, dann gab es bis zum nächsten Morgen nichts mehr
zum Essen.
Natürlich litten die Menschen bei
solcher Ration unter Hunger. Besonders schwer hatten es die Menschen mit
einem stärkeren Körperbau. Alle Gespräche endeten mit den
Erinnerungen an etwas Eßbares. Man besprach Kochrezepte verschiedener
Speisen, stritt sich dabei leidenschaftlich, es kam auch zu den Prügeleien.
Schließlich besann sich jemand und forderte nicht mehr zu diesem
Thema zu sprechen.
Ärzte und
Sanitäre, die freiwillig Exkremente der bettlägerigen Kranken
hinaustrugen, bekamen mit allgemeiner Zustimmung eine zusätzliche
Portion Suppe.
Die Tage verliefen so eintönig,
daß ich mich nicht erinnern konnte, wie lange ich in Luninez blieb.
In dieser Zeit ging mein Geschwulst auf dem Kopf zurück, mein Auge war
unverletzt, nur unter der rechten Augenbraue blieb für lange Zeit eine
harte schmerzhafte Beule. Offensichtlich war mir der Schlag mit einem
stumpfen Gegenstand und nicht mit einem Splitter versetzt worden.
Vermutlich war das der Holzgriff einer deutschen Handgranate, die in der
Nähe krepiert war. Mit dem linken Ohr hörte ich bald ziemlich
gut, das rechte blieb nach wie vor taub. Von der Zeit an sehe ich beim
Gespräch nicht die Augen sondern den Mund meines
Gesprächspartners an, um ihm die Worte von den Lippen abzulesen.
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