Fortsetzung.

                                             3. Cholm.


   
Bald hallte die Frontkanonade und wir warteten auf den Umzug. Die Lastkraftwagen kamen, man stopfte uns zum Bersten voll in die Wagenkästen hinein, brachte zur Station und ließ uns in die Güterwagen einsteigen, die nachher geschlossen wurden. Der Zug setzte sich in Bewegung, von seiner Richtung hatten wir aber keine Ahnung: das kleine Fenster unter dem Wagendach in der Ecke war mit den Brettern vernagelt, zwischen denen nur der Himmel zu sehen war. Wir fuhren einen ganzen Tag lang, auch die Nacht verbrachten wir im Wagen.

Endlich rollte die Wagentür auf, ein Lastkraftwagen kam an den Wagen heran, wir wurden in den Wagenkasten hinuntergeworfen und der LKW fuhr ab. Wir fuhren durch eine Stadt, wahrscheinlich polnische, da die Aufschriften und Schilder in Polnisch waren, dann kamen wir zum Tor, hinter dem das Lager war. Lange Reihen der halb in die Erde eingegrabenen Baracken zogen sich durch das Gelände, jedes davon war mit dem Stacheldraht umgeben. Der LKW hielt an einem Gebäude, über dessen Eingang eine deutsche Flagge mit dem Hakenkreuz wehte. Vor dem Gebäude war ein kleiner Platz, über den deutsche Soldaten sachlich hin und her eilten, etwas abseits standen einige junge Frauen in der sowjetischen Uniform, sie sangen im Chor „Erhebe dich, riesiges Land“ und offensichtlich warteten auf etwas. Die mit den Flinten bewaffneten Wachleute gaben auf ihr Singen keine Acht. Ich glaube, diese Frauen waren aus dem von den Deutschen eroberten Feldlazarett. Kurz darauf fuhr der LKW zum Eingang einer der Baracken vor, wo auf uns schon die Leute warteten, die deutsche Uniform mit merkwürdigen roten Kragenspiegeln anhatten und russisch sprachen, wahrscheinlich war es die Lagerpolizeiaufsicht. Einen nach dem anderen schleppten sie uns in die Baracke hinein.

Der Gestank in der Baracke haute uns um. Ein halbdunkler Durchgang in der Mitte, zu dessen beiden Seiten zweistöckige Pritschen standen. Ich wurde auf einen freien Platz unten gestoßen.

Mein Nachbar links schlummerte und murmelte etwas dabei, auf meine Fragen antwortete er nicht. Mein Nachbar rechts informierte mich über alles gern.

Dieses Lager galt als ein Lazarett, es wurden hierher die Verwundeten zusammengebracht. Die Stadt, in der dieses Lager lag, hieß Cholm, die Polen nannten sie Chelm. Das Füttern war widerlich, die übliche deutsche Ration: 240-250 Gramm Brot und dünne Suppe einmal am Tage. Am Ende der Baracke befand sich hinter einer Scheidewand mit der Tür mit dem Schild „Arzt“ ein Verbandraum. Es mangelte aber am Verbandstoff, man wurde nur für ein Brotstück verbunden. Darum stank es in der Baracke so: es eiterten die vernachlässigten Wunden.

Ich bekam einen Teller Steckrübensuppe, übelriechend, dünn, mit einer Fleischfaser.

Es wurde Nacht. Mein Nachbar links hatte offensichtlich Fieber, er flüsterte etwas, murmelte verschiedene Namen. Gegen den Morgen wurde er still. Es stellte sich heraus, er war gestorben. Mein Nachbar rechts sagte: „Sage das vorläufig niemandem. Wenn man das nicht gleich bemerkt, bekommen wir noch sein Brot und Suppe und teilen das alles.“ So haben wir gemacht. Erst nach dem „Mittagessen“ berichteten wir das den Sanitätern und sie brachten ihn weg.

Am nächsten Tag nahm ich mein Stück Brot und schleppte mich bis zum Verbandraum. Als ich an die Tür klopfte, ging sie auf und ein junger Mann in deutscher Uniform mit den roten Kragenspiegeln, auf denen „Arzt“ stand, sah Brot in meinen Händen und ließ mich herein. Er nahm mir mein Brot als etwas selbstverständliches und begann sich zum Verband vorzubereiten. Während er in eine Schüssel Revanol einschenkte und meine Wunden geschickt verband, fragte er mich, wo ich verwundet worden war, wo ich gedient hatte. Er sagte, ich dürfte erst nach drei Tagen wieder kommen: es gab keinen Verbandstoff.

Es zogen sich peinliche Tage, ein jeder konnte der letzte sein. Die Tagen waren ohne Ende, nur das „Mittagessen“ aus Brot, dem sogenannten Tee und Suppe half die Zeit bestimmen.

Es gab kein Waschbecken in der Baracke und auf die Straße konnte ich noch nicht gehen. Mein längst ungewaschener Körper bedrückte mich, es juckte mich unerträglich an der Wunde: sie wurde wurmstichig. MeinNachbar beruhigte mich: es sei gut, mit den Würmern heile die Wunde schneller.

Von dem Fenster an der Gegenseite der Baracke aus war ein Stückchen Himmel und Stacheldraht zu sehen und ein Polizist mit dem Stahlhelm und einer Flinte hinter sich, der den Stacheldraht entlang hin und her ging.

Jeden Tag starben die Menschen in der Baracke, die Toten wurden nicht gleich weggebracht (ihre Nachbarn bekamen für sie noch einige Tage lang Brot und Suppe).

Manchmal erschienen in der Baracke „Kaufleute“, die das Essen verkauften oder gegen ein Kleidungsstück eintauschten. Da ich völlig verhungert war(ich mußte mich doch auch für das Brot verbinden lassen), fiel ich in Versuchung und tauschte meine noch anständige Feldbluse gegen ein Stück abgekochtes Fleisch und ein zerlumptes schmutziges Hemd ein. Mein Nachbar ließ mir keine Ruhe: „Gib mir doch auch ein Stückchen!“ Ich konnte ihm nicht absagen und er biß ein großes Stück ab. Ich glaube, ich kann mich bis jetzt an den Geschmack von diesem Fleisch erinnern.

Die Tage vergingen und ich erinnere mich nicht daran, wie lange es dauerte. Endlich sollten einige und unter ihnen auch ich in ein anderes Lager übersiedeln. Ich weiß nicht, warum die Lagerleitung diesen Beschluß faßte. Vielleich sah ich nicht so unterernährt aus. Ich war von Geburt mager und leidete von Hunger nicht so stark wie die anderen.
                                    

                                        4. Hohenstein.


   
Diesmal fuhren wir mit einem Pferdeschlitten, die Pferde wurden von einem jungen polnischen Zivilisten gelenkt, offensichtlich wurde er für diese Arbeit mobilisiert. In Begleitung der Fußbegleitsoldaten fuhren wir langsam durch die Straßen der Stadt vor den Augen der Stadtbewohner, die an den Straßenrändern standen. Einige von ihnen liefen oft an unseren Schlitten heran und steckten uns bald ein Stück Brot, bald einen Apfel, bald Salzkartoffeln. Die Begleitsoldaten schrien sie von Zeit zu Zeit an, aber nicht böse, nur zum Schein.

Man brachte uns zur Eisenbahnstation und ließ in die Wagen einsteigen, deren Boden mit einer dicken Strohschicht bedeckt war. Bald fuhren wir weiter. Wir fuhren lange, zwei oder drei Tage lang und litten von Durst und Hunger: nur ein- oder zweimal bekamen wir je ein Zwieback und eine Schöpfkelle. Endlich hielt der Zug, die Wagentür rollte auf: gerade davor stand das Stationsgebäude mit dem Schild „Allenstein“.
    Es kamen an die Wagen Pferdefuhrwerke heran und wir fuhren damit zu unserem Wohnort. Es war ein richtiger Frühlingstag, es gab schon fast keinen Schnee und an den schneefreien Stellen grünte das Gras. Wir fuhren durch ein ordentliches deutsches Städtchen mit ein- und zweistöckigen Gebäuden mit Vorgärten und hohen Ziegeldächern. Von fern sah das Städtchen wie ein Haufen Zündholzschachteln aus. Das Lager war schon zu sehen: Stacheldraht, Tor, lange Reihen der umgezäunten Bauten, die halb als Erdehütten halb als Baracken aussahen. Zuerst wurden wir zur Badeanstalt gebracht: einem einstöckigen Bau mit einem hohen rauchenden Schornstein. Wir zogen uns aus, knoteten unsere Kleidung zusammen, befestigten an dem Knoten ein Schildchen mit der Nummer und gaben die Sachen den kriegsgefangenen Italienern ab, die hinter einer Holzschranke darauf warteten. Ein deutscher Gefreiter gab jedem ein Stück seltsames tonartiges Material, Ersatzseife. Beim Kontakt mit dem Wasser bedeckte es sich statt des Schaums mit einer Art Schleim, so daß man mit seiner Hilfe den ganzen Schmutz vom längst ungewaschenen Körper abwaschen konnte.

Ich hüpfte auf einem Bein in einen großen Duschraum und duschte mich dort mit Vergnügen unter einer Duschanlage, aus der heißes Wasser spritzte, wobei ich mich bemühte den Verband nicht naß zu machen. Als ich wieder in den Umkleideraum hüpfte, reichte mir einer der Italiener zwei Bretter mit den Querlatten. So bekam ich die Krücken.

Nach dem langen Warten im Umkleideraum bekamen wir unsere Kleidung aus der Sterilisationskammer. Die Italiener nannten die Nummern fließend russisch und übergaben uns heiß dampfende Knoten.

Wir zogen uns an.

Der deutsche Gefreite (ich hatte schon zahlreiche deutsche unterste Dienstgradabzeichen gelernt) schrieb auf die Kärtchen unsere Angaben: Namen, Vornamen, Alter, Dienstgrad, Nationalität, Glaubensbekenntnis und teilte jedem seine Personalnummer mit, er ließ sie uns deutsch lernen, denn beim Appel wurden nicht Namen sondern Nummern genannt.
    Nach dieser Registration wurden wir in die Baracken gebracht. Während wir im Umkleideraum warteten, erfuhr ich, daß das Lager Hohenstein hieß (nun liegt es auf dem Territorium Polens und heißt Olstinek) und gilt im deutschen Verzeichnis als Stalag I-A, wo kriegsgefangene Invaliden gehalten werden, die nicht arbeiten können.

Meine Baracke stellte eine riesige Art Erdhütte mit vier Reihen Pritschen dar. Zwei Außenreihen wurden von zwei inneren durch breite Durchgänge getrennt. Die inneren Pritschenreihen, durch eine niedrige Scheidewand voneinander getrennt, waren zweistöckig und hatten einige Querdurchgänge, in denen eiserne Öfen und Tische mit Bänken standen. An den Stirnseiten waren die Eingänge in die Baracke. Der Eingang von der breiten Straße, die sich durch das ganze Lager zog und von den Baracken durch einen Stacheldraht getrennt war, galt als Haupteingang. Durch diese Straße gingen mit den Flinten bewaffnete Wachleute. Der andere Eingang war auf die Außenumzäunung gerichtet, die aus vier Reihen Stacheldraht und dazwischen Bruno-Spiralen bestand. Zwischen der Außenumzäunung und der Baracke lag die Sanitätszone, in der sich ein ziemlich sauberer Abort mit Betongrube und ein Waschbecken – ein Betontrog mit Wasserhähnen – befanden. Jenseits der Umzäunung standen Wachtürme, 100-150 Meter voneinander entfernt, wo die Wachposten und Maschinengewehrrohr zu sehen waren. Hinter der Umzäunung war ein nicht sehr hoher Hügel zu sehen, auf dem ein merkwürdiger Bau stand: ein quadratischer Ziegelturm mit Zinnen, nach oben etwas enger. Es stellte sich heraus, daß es das Denkmal für den Sieg der Deutschen über die russische Armee von General Samssonow im ersten Weltkrieg ist. Zu beiden Straßenseiten zogen sich Reihen der gleichen Baracken, voneinander durch einen Stacheldraht getrennt.

Am Barackenhaupteingang war durch eine Scheidewand ein kleiner Raum für den Ältesten und den Dolmetscher abgetrennt. Hier hatte ein für unsere Baracke verantwortlicher deutscher Gefreiter täglich seinen Dienst
    Der Älteste wies mir meinen Platz auf der Pritsche an und somit auch meine Brigade. Mein Nachbar war ein junger netter Tadschike, der sich rührend um seinen älteren Landsmann kümmerte, der auf der weiteren Pritsche lag. Er litt an Magengeschwür und war vor Schmerz ganz aufgelöst. Links von mir war ein Ukrainer, der bei Mariupol gewohnt hatte, ein Mann an die vierzig Jahre alt. Er amüsierte mich mit seinen Erzählungen über seine Arbeit und seine Liebesabenteuer mit „einem schönen Weib“, das sowohl seine sexuellen Bedürfnisse befriedigte, als auch ihn reichlich nährte.

Die Brigaden wurden nach folgendem Prinzip gebildet: für eine Gruppe aus 12 Menschen ein Brot, für vier Gruppen ein Topf Suppe oder Tee.

Es begann meine nächste Lebensetappe in der Kriegsgefangenschaft.

 

 

 

 

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