Fortzetzung.

  Die Bauarbeiten wurden von einem vorlauten Gefreiten geleitet, der ständig schrie: “Los, los, Mensch, faule Bande, verfluchte Hunde! Schnell, schnell!“

 Hier bekamen wir genauso wie früher am englischen Lager die Reste vom Mittagessen, Brotstücke, Cracker. Darin bestand der Wert dieser „Dienstreisen“.

In dem schon gebauten Teil des Seitenflügels saßen schon die bestraften Kriegsgefangenen. Sie hungerten nicht: ein Koch in einer weißen Kappe brachte ihnen Speisen wie im Restaurant: Teller mit Buletten und Beilage, sie durften aber nicht rauchen. Wenn ich vorbeiging, zeigten sie mit den Gesten, daß sie rauchen möchten.
     Einmal konnte ich ihre Bitten nicht mehr abschlagen und überreichte in das Fenster eine angezündete Zigarette. Der boshafte Gefreite sah das und gab mir eine Ohrfeige. Das war aber nicht alles. Als Strafe wurde ich in den Karzer geworfen, aber natürlich nicht zu den Engländern, sondern in die unterirdische Galerie, deren Schießscharten nach dem Graben gingen. Dort saßen schon einige meine Landsmänner. In der Galerie waren Holzkäfige errichtet, so daß die Schießscharten unzugänglich waren, der Gitterboden des Käfigs war über dem Betonfußboden gehoben, die Käfigdecke war zu niedrig für einen Menschen, man konnte nicht aufstehen, sich nicht aufrichten, die Länge und die Breite waren so, daß man die Beine nicht ausstrecken konnte. Obwohl draußen Sommer war, war es hier feucht und kühl. Außerdem gab es hier Flöhe. Wenn man die Hand über dem Fußboden hielt, sprangen sie hoch und stießen gegen die Handfläche. Der Klosetteimer, der seit vielen Tagen nicht geleert war, stank unerträglich.

Ich verbrachte dort drei Tage, die mir eine Ewigkeit schienen, ohne Brot und Wasser. Durch die schmale Schießscharte sah ich meine Kameraden arbeiten. Ich rief sie, aber sie konnten nicht näher kommen, auch wenn sie mich hören konnten.

      Ich habe einen Traum: Ich möchte einmal Polen besuchen, nach Torun fahren, das Fort 16 sowie andere Gedenkstätten, um die es weiter geht, besichtigen, meine Einzelzelle wieder sehen und ihre Wände betrachten. Da ich während meines kurzen Aufenthalts in dieser Zelle zu viel Freizeit hatte, ritzte ich an der Wand mit einem auf dem Fußboden gefundenen Nagel das Gedicht von M. Lermontow „Gefangener Ritter“: „...ich sitze schweigend am Kerkersfenster und sehe den blauen Himmel...“

Ich wurde aus dem Karzer entlassen und war nie wieder in diesem unglückseligen Fort 16.

Der Sommer endete. Die Front kam an uns vom Osten näher heran, in unser Lager wurden von den Deutschen mehr und mehr Kriegsgefangene aus den Lagern auf dem von den sowjetschen Truppen befreiten Territorium gebracht. Es kamen aber auch neue Kriegsgefangene. Ich glaube, im August kam eine große Gruppe, die irgendwo bei Warschau gefangengenommen worden war.
     Das Lagergelände wurde breiter dank den Nachbarnhöfen, wo Holzbaracken eilig gebaut wurden. Jeden Morgen fanden ordnungsgemäß der Appell, die Abfahrt zur Arbeit statt, aber so gute Arbeit wie damals gab es nicht mehr. Einmal hörte ich beim Appell meine Nummer. Es wurde eine Mannschaft zur Abfahrt vorbereitet. Mit Zittern und Zagen (wohin sollten wir?) versammelten wir uns mit unseren Sachen auf dem Hof. Man führte uns zu einem Schuppen und ließ uns etwas gutes aus dem Kleidungshaufen auf dem Fußboden wählen. Ich fand eine fast neue Soldatenuniformjacke einer der Armeen, die es schon nicht mehr gab: entweder der griechischen oder der tschechischen, die gleiche Hose, fast ganze Schuhe. Auf dem Rücken und Knien standen wie gewöhnlich große Buchstaben „SU“ (Sowjetunion). Lange standen wir und dachten darüber nach, was uns bevorstand. Endlich kamen auf uns sechs Begleitsoldaten mit voller Marschausrüstung (mit den Rücksäcken, benäht mit dem Kalbsfell und Flinten) zu. Sie zählten uns noch einmal, verglichen es mit der Liste und führten uns zum Bahnhof.

Sie befreiten in einem gewöhnlichen Personenwagen eine Zelle und ließen und einsteigen. Der Wagen war voll von den Fahrgästen, die deutsch sprachen und uns neugierig anschielten. Hier muß ich hinzufügen, daß der ganze ehemalige „Polnische Korridor“ von Deutschland aufgenommen worden war, die Städte bekamen deutsche Namen (Torun wurde zu Torn, Gdansk – Danzig usw.) und polnisch durfte man nicht sprechen. Alle Schilder und Straßennamen waren in Torun auf deutsch, sogar mit einander sprachen die Polen auf der Straße deutsch

Auch im Wagen war zuerst nur Deutsch zu hören. Einer der unsrigen wandte sich an einen jungen Fahrgast mit einer Frage auf polnisch, er antwortete auch auf polnisch. Eine junge Polin schloß sich an das Gespräch an und bald unterhielten sich alle Fahrgäste im Wagen miteinander und die deutschen Begleitsoldaten störten sie nicht. Die Polen fragten uns nach unseren Geburtsorten, wo und wie wir gefangengenommen worden waren. Einer, seinem Kragen nach ein Geistlicher, fragte beharrlich nach Egorow, Tuchatschewskij und den Gründen ihrer Verhaftung. Wir antworteten klischeehaft, sie haben für den ausländischen Nachrichtendienst gearbeitet und die Polen lächelten bedeutungsvoll.

An der Station Deutsch Eilau mußten wir in einen anderen Zug umsteigen. Nach kurzer Erwartung auf dem Bahnhof stiegen wir in den Zug ein und stiegen weniger als nach einer Stunde an einer kleinen Station Gabelndorf aus. Jetzt war es klar, daß wir Glück hatten: wir fuhren zum Bauern.

Die Begleitsoldaten führten uns einen breiten Weg entlang, zu dessen beiden Seiten Apfelbäume mit rosigen Äpfeln wuchsen. Es wäre schön, sich damit zu stärken, unsere Mägen waren schon lange leer. Unsere Begleitsoldaten waren aber entschieden dagegen, sie drohten uns mit den Flinten, wenn wir aus der Reihe zu treten und uns dem Rand des Weges zu nähern versuchten. Bald war ein typisch deutsches Landgut mit einem Ziegelzaun zu sehen, hinter dem Hofgebäude lagen. Nicht weit davon lag ein kleines Dorf: einige niedrige eingeschossige Häuser mit Schilf- und Strohdächern, mit Gemüsegärten, Viehställen und Schuppen.

Durch das Tor kamen wir zu einem kleinen Platz vor dem großen Ziegelhaus mit Obergeschoß, geschmückt mit einer breiten Haupttreppe und einer Säulenhalle mit Wandsäulen. Zu beiden Platzseiten lagen Lagerräume, etwas abseits lag ein Haus mit Obergeschoß, in seinem Erdgeschoß war ein Lager, ins Obergeschoß führte eine Außenholztreppe mit dem Stacheldraht beiderseits. Diese Treppe endete mit einem kleinen umgezäunten Treppenabsatz und einer mit Eisenblech beschlagenen Tür. Die Fenster warenmit einem Eisengitter versehen. Das war unsere Wohnstätte.

Auf dem Platz übernahmen uns andere Begleitsoldaten, die hier mit uns bleiben sollten, und der Gutsherr – unser „Chef“, ein dicker rotbackiger Deutsche in einer Reithose, Stiefeln, einer Ziviljacke mit dem runden Abzeichen der nationalsozialistischen Partei im Knopfloch und einem Federhut. Er ging an einem polierten gelben Holzstock mit einem gebogenen Griff.

Die neuen Begleitsoldaten führten uns nach oben, in die Kaserne. Sie bestand aus zwei großen Zimmern: einem Durchgangszimmer mit einem großen Ofen mit einem eingemaurten Kessel, wo Salzkartoffeln dampften, in der Ecke gab es einen Kartoffelhaufen. In der anderen Ecke war unsere „Toilette“. In der Zimmermitte stand ein großer Tisch mit den Bänken.

Das zweite Zimmer war unser Schlafzimmer mit einer zweistöckigen Pritsche mit den mit Stroh gefüllten Sackleinwandmatratzen und den mit Heu gefüllten Leinwandsäcken, die uns als Kissen und Decken dienen sollten.

Mit uns zusammen ging ein ältlicher Pole hinauf, der uns als unser Dolmetscher vorgestellt war. Er hieß Kinsel, er radebrechte in Russisch, aber man konnte ihn verstehen.

Vor allen Dingen fielen wir über das Essen her: Salzkarztoffeln gab es soviel man will, wir bekamen auch je ein Glas dünne, wahrscheinelich entrahmte Milch und ein Stückchen Margarine.

Während wir aßen, saßen unsere Begleisoldaten neben uns. Einer von ihnen, offensichtlich der Älteste, war Unteroffizier, der zweite, ziemlich ältliche, war gemeiner Soldat.

Mit Hilfe von Kinsel, dessen Russisch uns zum Lachen brachte, erklärte man uns unseren Tagesablauf. Um 6 Uhr morgens Aufstehen, dann Arbeiten nach der Anordnung unseres Chefs, die wir von einem Brigadier, einem Polen, erfahren sollten. Den Feierabend machten wir um 7 Uhr abends. Am Tage gab es eine Stunde Mittagspause. Das Essen mußten wir mitnehmen: Salzkartoffeln und Brot.

Wir mußten uns einen Koch und den Ältesten wählen. Wir verabredeten uns, daß der Koch „nebenamtlich“ auch der Älteste sein wird.

Am Ankunftstag sollten wir nicht arbeiten, wir aßen uns zum Bersten satt, legten uns auf weiche Betten und schliefen in Erwartung einer besseren Zukunft ein.

So begann unser Dienst beim Bauern.

Die Arbeit war verschieden. Wir droschen das noch vor uns geerntete Getreide mit einer Dampfdreschmaschine: holten die Garben, räumten das Stroh und brachten die vollen Säcke hin. Wir gruben Kartoffeln mit den Spaten, der Chef ging hinter uns, betrachtete die ausgegrabenen Reihen und scharrte mit dem Stock in der Erde. Wenn er eine Kartoffel fand, rief er einen Begleitsoldaten zu sich und schimpfte auf ihn. Der Begleitsoldat, seinerseits, kanzelte denjenigen ab, in dessen Reihe die Kartoffel lag.

Die Begleitsoldaten taten uns leid. Sie waren sehr freundlich und wohlwollend. Der eine, der Unteroffizier, war ein Österreicher, der andere, der bald ziemlich gut russisch sprach, schien ein „Volksdeutscher“ zu sein – ein Pole mit mit einem Zusatz von deutschem Blut. Einmal bekam ich heftige Zahnschmerzen. Und der Unteroffizier, der Österreicher, führte mich in ein Städtchen in der Nähe, das deutsch Graudenz hieß. Dort wurde mein kranker Zahn von einem Privatarzt glücklich gezogen.

Wir wollten unseren Begleitsoldaten keinen Ärger machen und gruben Kartoffeln gewissenhaft. Sie wurden dann in große Körbe gesammelt und zum Pferdefuhrwerk hingetragen.

Besonders schwer fiel uns das Zuckerrübeneinbringen. Die Zuckerrübe sitzt sehr fest in der Erde. Man zog sie am Kraut und gabelte von unten her mit einer speziellen Zweizahngabel auf. Die Gabel bohrte sich in den harten Lehmboden kaum hinein, wenn man sie aber aus voller Kraft hineinschlug, traf man oft die Zuckerrübe selbst und ihr Teilchen blieb in der Erde. Das entrüstete unseren Chef. Er brüllte die Begleitsoldaten an und schwang mit seinem Stock.

Neben uns ernteten die Zuckerrüben die Polen: meist ältere Frauen, Mädchen und junge Burschen. Wenn der Chef in einer Furche eine Kartoffel oder ein Stückchen Zuckerrübe entdeckte, traktierte er den Schuldigen mit dem Stock.

In der Mittagspase erwärmten wir uns am Feuer und sprachen mit den Polen. Sie waren sehr wohlwohlend zu uns, fragten uns nach dem Leben in Rußland, klagten über das Leben, das für sie seit dem Machtantritt der Deutschen unerträglich wurde. Früher hatten sie hier auch als Tagelöhner bei diesem Chef gearbeitet, er war hier auch früher Landbesitzer, er hatte ein großes Grundstück gehabt, damals hatte er sich zu ihnen aber viel besser verhalten. Er hatte ihre Arbeit mit Geld und in Naturalien bezahlt und sie hatten ihr eigenes Vieh halten können. Seit dem Machtantritt der Deutschen wurden sie zu seinen Leibeigenen und sollten für den Chef bestimmte Frist arbeiten ohne nach dem Lohn zu fragen. Ihre Arbeit wurde zwar bezahlt, aber sehr kärglich.
    Auf dem Feld arbeiteten auch einige Frauen aus Litauen. Eine von ihnen, sehr nette Frau, war außerdem die Konkubine des Chefs.
    Der von uns gewählte Koch und gleichzeitig der Älteste, machte sich schuldig: in der Nacht war er eingeschlafen, der Ofen erlisch und die Kartoffeln, die im Kessel kochten, wurden hart und ungenießbar. Er wurde abgesetzt und eine anderer wurde gewählt, leider weiß ich nicht mehr, wie er hieß. Das war ein wunderbarer Mensch. Vor dem Krieg war er noch jung gewesen und hatte als Friseur irgendwo in der Ukraine gearbeitet. Als er zu unserem Koch wurde, begann er sich für uns fast mütterlich zu sorgen. Er schnitt uns die Haare und rasierte uns, versuchte unsere Arbeitswunden zu heilen, sorgte für die Sauberkeit in der Kaserne und für die Sauberkeit unserer Kleidung. Er bat uns bei dem Chef die „Waschtage“ aus, an denen wir nicht nur uns waschen konnten, sondern auch unsere Klamotten waschen.

Da wir Kartoffeln in großer Menge aßen, konnte man sie allein für alle nicht schälen. Abends vor dem Schlafengehen setzten wir uns im Kreise, schälten sie zusammen und sangen russische Volkslieder (Kienspänchen, Der Moskauer Brand toste..., Wanjka-der Schlüsselträger, Am Don spaziert..., Kühner Chasbulat usw.), sowie sowjetische Kriegslieder (Stehe auf, du Riesenland, Maschinengewehrwagen, Kachowka usw.). Unsere Begleitsoldaten saßen dabei und hörten uns zu, manchmal sangen sie sogar mit. Sie taten, als ob sie die Worte „...gegen die dunkle faschistische Macht, gegen die verfluchte Horde“ nicht verstanden. Die Polen versammelten sich unter unserem Fenster und hörten uns auch zu.

Hier befreundete ich mich mit Michail, der hier unter dem Familiennamen Chodshajew lebte. Er wurde im Sommer 1944 bei Warschau gefangengenommen. Bis zur Einberufung lebte er in Usbekistan, wohin seine Familie aus Charkow evakuiert worden war. Da er eine große Anlage zu den Sprachen hatte, lernte er das Usbekische schnell und behauptete, er wäre ein Moslem. Einige Usbeken aus unserer Brigade erkannten ihn als einen Usbeken und sprachen mit ihm usbekisch. In der Tat war er aber ein Jude, das sagte er mir selbst. Er war sehr klug und belesen, zwischen uns beiden gab es viele Gemeinsamkeiten. Fast bis zum Ende der Kriegsgefangenschaft waren wir zusammen.

Zu höfliches Verhalten unserer Begleitsoldaten uns gegenüber gefiel dem Chef nicht und sie wurden durch andere ersetzt. Dabei gewann der Chef aber nichts. Einer der neuen Begleitsoldaten war auch ein Österreicher, er nannte sich selbst „Kleinbauer“. Er war ein richtiger Schürzenjäger: er verfolgte polnische Mädchen auf Schritt und Tritt. Wenn eine Frau wegen der natürlichen Verrichtungen des Körpers hinter einem Gebüsch verschwand, folgte er ihr auf dem Fuß.

Der zweite war ein Invalide. Er war mehrmals verwundet worden, darum schleppte er sich hinter uns mit Mühe und Not bis zum Feld und fiel dort sofort kraftlos ins Gras. Wenn wir aber den Arbeitsort wechseln mußten, verlangte er, daß wir streng in der von ihm angegebenen Richtung gingen, egal, daß es dort zum Beispiel Pfützen gab, er drohte uns mit der Flinte und schlug uns manchmal mit dem Kolben. Wir sagten Kinsel, er sollte dem Chef mitteilen, der Chef sollte diesen Verrückten durch einen anderen ersetzten, sonst zieht das Folgen nach sich. Das tat seine Wirkung und bald wurden beide Begleitsoldaten wieder durch andere ersetzt.

      Inzwischen war der Herbst da. Die Ernte war schon im großen und ganzen eingebracht und zur Station hingebracht: mit Pferdefuhrwerken wurde dorthin das Korn, Kartoffeln, Zuckerrüben gefahren. Die Deutschen wurden offensichtlich nervös: die Front ging nach dem Westen vor. Die Alliierten, die in Normandien gelandet waren, vertieften sich allmählich auch ins deutsche Inland und gleichzeitig unterwarfen den erbarmungslosen zusammengefaßten Massenangriffen der Luftwaffe deutsche Städte. In der Zeitung „Sarja“ wurde ein erstaunlicher Artikel veröffentlicht. In diesem Artikel stand, daß die Rote Armee von den deutschen Truppen zerschmettert, der europäische Teil Rußlands, die Ukraine und Weißrußland erobert, und das russische Industriepotential vernichtet worden war. Aber das russische Volk strengte alle seine Kräfte an und drängte die Wehrmacht zurück.

Fortzetzung

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